Neutrale waren nicht nur, wie die Freigrafschaft Burgund, unselbständig und schwach; sie waren auch Gott zuwider. Seit dem Mittelalter galt die Lehre vom gerechten Krieg, und die Verteidigung des wahren Glaubens erfüllte diese Anforderung am besten. Dafür durfte man nicht nur Krieg führen, man musste dies sogar. Gott war ein eifersüchtiger Herrscher, der keine Gleichgültigkeit duldete. Die Zeitge- nossen konnten sich auf die Offenbarung (3, 16) berufen, dass «Gott die laulichen, das ist die neutralisten, darumb dass sie nit kalt noch warm, aussspeyen thue». 75 Hatte nicht Jesus selbst gesagt: «Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich» (Matthäus, 12, 30)? Neutralität in Glaubensdingen
Unter diesen Umständen überrascht es nicht, dass Zeitge- nossen die schweizerische Neutralität, wie sie nun prokla- miert wurde, als «die denkbar grösste Partialität» bezeich- neten.77 In den folgenden Jahren setzten folgerichtig die Debatten ein, was die Neutralität für Rechte und Pflichten mit sich bringe: Galt für die Zahl der schweizerischen Söld- ner der Status quo bei Kriegsbeginn, oder durfte eine Kriegs- partei neue Truppen in der Eidgenossenschaft ausheben, um gleich viele zu haben wie der Gegenspieler? Die jeweils Kriegführenden brachten ihre Definitionen ebenfalls ein, um eine für sie günstige Auslegung der Neutralität zu erlan- gen. Die Eidgenossen begannen ihrerseits um 1700 die Neu- tralität als «Maxime» und «Staatsregel» zu bezeichnen, als eine «veste Grundseule» der Eidgenossenschaft seit ihrer Gründung - oder doch seit Marignano. Der erste Schweizer, der sich wenn auch erst indirekt darauf bezog, war 1691 der Tagsatzungsschreiber Franz Michael Büeler aus Schwyz: «Hat nit eine lobliche Eydtgnossschafft durch die Neutra- litet von 176 Jahren hero, da die aussere Potenten in Krieg gewesen, sich in Fried und Ruhstand mit Gottes Gnaden
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unselbständig und schwach; sie waren auch Gott zuwider.
Seit dem Mittelalter galt die Lehre vom gerechten Krieg,
und die Verteidigung des wahren Glaubens erfüllte diese
Anforderung am besten. Dafür durfte man nicht nur Krieg
führen, man musste dies sogar. Gott war ein eifersüchtiger
Herrscher, der keine Gleichgültigkeit duldete. Die Zeitge-
nossen konnten sich auf die Offenbarung (3, 16) berufen,
dass «Gott die laulichen, das ist die neutralisten, darumb
dass sie nit kalt noch warm, aussspeyen thue». 75 Hatte nicht
Jesus selbst gesagt: «Wer nicht mit mir ist, der ist wider
mich» (Matthäus, 12, 30)? Neutralität in Glaubensdingen
bibel
seit mittelalter
16./17 jhd für pder gegen gott
kultureller wandel - 1674 das erste mal eidgen. neutrak
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nossen die schweizerische Neutralität, wie sie nun prokla-
miert wurde, als «die denkbar grösste Partialität» bezeich-
neten.77 In den folgenden Jahren setzten folgerichtig die
Debatten ein, was die Neutralität für Rechte und Pflichten
mit sich bringe: Galt für die Zahl der schweizerischen Söld-
ner der Status quo bei Kriegsbeginn, oder durfte eine Kriegs-
partei neue Truppen in der Eidgenossenschaft ausheben,
um gleich viele zu haben wie der Gegenspieler? Die jeweils
Kriegführenden brachten ihre Definitionen ebenfalls ein,
um eine für sie günstige Auslegung der Neutralität zu erlan-
gen. Die Eidgenossen begannen ihrerseits um 1700 die Neu-
tralität als «Maxime» und «Staatsregel» zu bezeichnen, als
eine «veste Grundseule» der Eidgenossenschaft seit ihrer
Gründung - oder doch seit Marignano. Der erste Schweizer,
der sich wenn auch erst indirekt darauf bezog, war 1691 der
Tagsatzungsschreiber Franz Michael Büeler aus Schwyz:
«Hat nit eine lobliche Eydtgnossschafft durch die Neutra-
litet von 176 Jahren hero, da die aussere Potenten in Krieg
gewesen, sich in Fried und Ruhstand mit Gottes Gnaden