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Ernst Tugendhat : Nicht Sein, sondern Sprache Ernst Tugendhat hat die Sprache ins Zentrum all seiner Überlegungen zum Menschsein gestellt. Nun ist der große Philosoph im Alter von 93 Jahren gestorben. Ein Nachruf
https://www.zeit.de/kultur/2023-03/ernst-tugendhat...
 

Gänzlich unbefriedigend erschien Tugendhat die liberale Vertragstheorie, die seit John Locke im Umlauf ist und mit der so manche kapitalistische Schweinerei gerechtfertigt wurde. Vertragstheorien erschienen ihm buchstäblich amoralisch; sie verzichteten auf ein "Konzept des Guten" und setzten auf rein instrumentelle Regeleinhaltung. Doch warum solle man sich an einen Vertrag halten? Aus moralischen Gründen? Nein, weil man eigennützig darauf kalkuliert, der Vertragspartner werde sich ebenfalls dran halten – so wie die Mitglieder einer Räuberbande es auch tun. Von wahrhaft moralischem Verhalten konnte für Tugendhat nur dann die Rede sein, wenn das Handeln des Einzelnen eine innere Dimension und Wahrheitsorientierung besitzt, kurz: Wenn jemand auf eigenes Fehlverhalten mit moralischen Gefühlen reagiert, mit Scham, Schuld und "inneren Sanktionen".

 

 

 
Deren Bürger sollten sich als Mitglieder einer moralischen Gemeinschaft verstehen und nicht nur wie im marktförmigen Liberalismus als egozentrische Privatrechtssubjekte, die im Eiswasser ihrer kühl berechneten Interessen gleichgültig aneinander vorübergleiten wie Schiffe in der Nacht. Natürlich wusste Tugendhat: Moral ist kein Ersatz für gerechte Politik. In einer 'Gesellschaft der universellen moralischen Achtung' müsse auch das Recht auf Eigentum eingeschränkt werden, und zwar genau in dem Maße, wie es die Rechte der übrigen Bürger verletzt. Nicht die Gleichheit, schrieb Tugendhat zum Ärger der Marktliberalen, sei begründungspflichtig, sondern die Ungleichheit: 'Gerechtigkeit ist dasjenige, was übrig bleibt, wenn alle weiteren Gesichtspunkte, die eine Ungleichheit begründen können, entfallen.'